Warum deine Rückenschmerzen nichts mit deinem Bandscheibenvorfall zu tun haben
Zugegeben, der Titel ist etwas provokant. Aber stimmen tut es schon. Menschen gehen zum Arzt wegen Rückenschmerzen und bekommen einen Bandscheibenvorfall diagnostiziert. Ab sofort wird dieser als Grund für die Schmerzen angeführt. Dabei gibt es Menschen, die schlimme Bandscheibenvorfälle haben, aber keine Schmerzen. Und es gibt solche, bei denen auf dem MRT nichts erkennbar ist, die aber trotzdem furchtbare Beschwerden haben. Das akzeptiert sogar die Schulmedizin, steht dieser Tatsache aber recht ratlos gegenüber.
Ich hatte mal eine Nackenverletzung beim Kampfsport und legte mich mit leichten Nackenbeschwerden in den MRT. Dabei wurde ein kräftiger Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule entdeckt. Prompt wurden die Beschwerden schlimmer und ich verließ mit geneigtem Kopf, meinen Nacken haltend, die Radiologie. Man spricht hier vom Nocebo-Effekt, dem Gegenteil vom Placebo. Sobald jemand der Meinung ist, der eigene Körper sei schlimm beschädigt, kann das vorhandene Beschwerden verstärken oder sogar diese erst hervorrufen. Dabei hat sich ja strukturell nichts geändert. Der „Schaden“ war auch vorher schon da, die Schmerzen wurden durch das Wissen darüber verstärkt. Es handelt sich also um einen rein mentalen Prozess, der Schmerz hervorruft bzw. modifiziert. Der Schmerz ist dabei nicht weniger real.
Der New Yorker Orthopäde John Sarno geht davon aus, dass die allermeisten Rückenbeschwerden und andere chronische Schmerzzustände psychologische Ursachen haben. In der Mainstream-Medizin wird das nicht akzeptiert und meist nach mechanischen Ursachen gesucht. Werden diese dann gefunden, führt dies häufig zum oben beschriebenen Nocebo, wenngleich die Schmerzen unter Umständen mit dem mechanischen Schaden gar nichts zu tun haben bzw. nicht durch diesen verursacht werden. Laut Sarno werden die Beschwerden meist durch unterdrückte Emotionen verursacht. Man erlaubt sich nicht, bestimmte Emotionen zu empfinden, weil man glaubt, mit diesen im Moment nicht umgehen zu können. Dadurch verschwinden diese aber nicht einfach, sondern manifestieren sich in chronischer Muskelspannung, welche zu einem Sauerstoffmangel in den betroffenen Geweben führt. Dieser wiederum führt zu den Schmerzen oder Verspannungen.
Natürlich gibt es Verletzungen. Diese haben aber die Angewohnheit zu heilen. Tun sie das aber nicht, sondern bleiben längerfristig bestehen, dann spricht Sarno von TMS (Tension Myositis Syndrome, zu deutsch: Muskelverspannungssyndrom). Dieses ist rein emotional bedingt und wird durch den Nocebo-Effekt genährt. Das zu akzeptieren fällt vielen schwierig, sind doch emotionale Probleme in unserer Kultur stigmatisiert, während es weniger schambehaftet ist, an körperlichen Gebrechen zu leiden. Andererseits enthält Sarnos Aussage auch eine positive Botschaft: Der Rücken ist nicht kaputt, die Muskelverspannungen, die dem Syndrom seinen Namen geben, sind eher harmlos. Häufig führt allein diese Erkenntnis bei Sarnos Patienten schon zu einer teilweisen oder vollständigen Heilung.
Auf der Suche nach Gründen für Beschwerden sind wir in unserer Kultur sehr strukturell orientiert, das heißt wir suchen nach Schäden am Gewebe, welche diese erklären könnten. Sarno setzt dieser Sicht die psychologische Komponente entgegen, die auch meiner Ansicht nach viel mehr vom Schmerzgeschehen erklären kann, als gemeinhin angenommen wird. Das ist sein großer Verdienst. Wer für diese Sicht der Dinge aufgeschlossen ist, dem sei die Lektüre von „Healing Back Pain“ wärmstens empfohlen.
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